Das Leben mit einer Seltenen Erkrankung gleicht oft einem endlosen Erklärungsmarathon gegenüber Ärzten, um ihnen die eigenen Symptome und Besonderheiten der Krankheit nahezubringen. Bei FAP, der familiären adenomatösen Polyposis, erlebe ich immer wieder, dass viele Allgemeinmediziner glauben, sie wären mit der Krankheit vertraut, weil sie diese irgendwann während ihres Studiums einmal gestreift haben. Doch schnell wird klar, dass ihr Verständnis meist an der Oberfläche kratzt, indem sie FAP auf eine Art familiären Darmkrebs reduzieren.
Die Realität jedoch ist, dass FAP weit mehr als nur den Dickdarm betrifft, häufig sind auch andere Teile des Magen-Darm-Traktes involviert, und das Risiko für andere Krebsarten sowie Anomalien steigt. In meinem Fall ist FAP auch mit Desmoiden assoziiert, einer seltenen Tumorform, die einige Spezialisten als "gutartigen Krebs" bezeichnen, was ich persönlich sehr zutreffend finde.
Die Behandlung der FAP erfordert zwingend die Entfernung des gesamten Dickdarms, da das Risiko für
Darmkrebs nahezu 100 Prozent beträgt. Bei dieser Erkrankung entwickeln sich hunderte bis tausende von Polypen und Adenomen, deren Behandlung oder Kontrolle auf andere Weise nicht möglich ist. Angesichts des hohen Entartungsrisikos und der Gefahr von Blutverlust, der häufig zu Anämien durch Darmblutungen führt, ist eine chirurgische Intervention unumgänglich. Dabei ist es von größter Bedeutung, die Eingriffe so wenig invasiv und selten wie möglich zu halten, besonders bei Personen, die eine Neigung zu Desmoidtumoren aufweisen. Hier ist es entscheidend, die Anzahl der Operationen zu minimieren, da Desmoide besonders anfällig für Narben- oder traumatisiertes Gewebe sind. Die Therapieoptionen für Desmoide sind daher beschränkt und oft sehr aggressiv, darunter fallen Methoden wie Strahlen- oder Chemotherapie. Die Übernahme der Kosten für medikamentöse Therapien durch die Krankenkassen gleicht einem Sechser im Lotto, was erneut aufzeigt, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland auch im Jahr 2024 noch stark von den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen abhängig ist. Einen fachkundigen Arzt für diese spezifische Erkrankung zu finden, gleicht einem absoluten Glücksgriff und erfordert oft weite, kostspielige Anfahrten, die aus eigener Tasche finanziert werden müssen. So wird die ausreichende medizinische Versorgung zu einem kaum erreichbaren Luxusgut.
Die Schwierigkeiten beschränken sich jedoch nicht nur auf die medizinische Behandlung. Auch im Bereich der sozialrechtlichen Belange, wie dem Erreichen eines angemessenen Grades der Behinderung, des Pflegegrades oder der korrekten Einschätzung bei langfristiger Arbeitsunfähigkeit, stellen sich bei einer Seltenen Erkrankung zusätzliche Hürden ein. Meine Erfahrungen zeigen, dass FAP in diesen Kontexten oft verkannt und nicht ernst genommen wird – natürlich, die Folgen der Entfernung des Dickdarms und die damit verbundenen Komplikationen wie Resorptionsstörungen und chronische Diarrhöe sind ja auch halb so wild – Ironie aus. Man fühlt sich, als müsse man an jeder Front kämpfen, was verdammt viel Kraft kostet und so nicht nötig sein dürfte.
Oft wäre schon geholfen, wenn es mehr Bereitschaft gäbe zum Zuhören und weniger die Rolle des unfehlbaren „Gottes in Weiß“, wie ich es leider schon oft erlebt habe, eingenommen wird. Weder von Ärzten noch von anderen Sachbearbeitern wird erwartet, dass sie jedes Detail jeder Seltenen Erkrankung kennen, doch oftmals mangelt es an der Offenheit für Neues und dem Bewusstsein für die eigenen Grenzen der Professionalität. Viele von uns, die mit seltenen und chronischen Krankheiten leben, sind über ihre Erkrankung bestens informiert und bereit, ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu teilen.
Diese Punkte sind nur einige der vielen Herausforderungen, die mein Leben mit einer Seltenen Erkrankung mit sich bringt. Früher habe ich mich oft vom System unterdrücken lassen und habe mich nicht getraut, mich zu wehren. Heute jedoch ermöglicht mir mein Studium eine gewisse Schlagfertigkeit, mit der ich mich auf einem ganz anderen Niveau den notwendigen Widersprüchen, Paragraphenschlachten und anderem bürokratischen Wahnsinn entgegenstellen kann. Dabei ist es absurd, dass ich auf diese Art und Weise meine Rechte erwirken muss. Unabdingbar für die Bewältigung dieser nervenaufreibenden Dinge ist meine „Mittelfinger-Einstellung“ – innerlich halte ich bei solchen Problemen beide Mittelfinger aufrecht in die Luft. Für mich sind Enttäuschung und Wut dabei gute Antreiber, um schlagfertig zu bleiben.
Der zusätzliche bürokratische Aufwand, den Behördenangelegenheiten mit sich bringen, ist in meinen Augen ein deutliches Zeichen für staatliches Versagen, besonders angesichts der Tatsache, dass die Kostenübernahme für Medikamente alles andere als selbstverständlich und das Leben mit einer chronischen Krankheit ohnehin teuer ist. Meine Gesundheit ist in diesen Systemen unzureichend abgesichert. Darüber hinaus haben diese ableistischen Systeme, die stetigen Kämpfe sowie die ständige Übernahme aller notwendigen Kosten auch eine erhebliche Auswirkung auf die Gesundheit, die in einem funktionierenden System eine bessere Chance hätte sich zu stabilisieren. Hin und wieder werde ich von außen darauf hingewiesen, ich solle doch dankbar sein – eine Bemerkung, die leichtfertig von jemandem gemacht wird, der nicht selbst betroffen ist. Lebt man mit einer Seltenen Erkrankung und wie ich zusätzlich noch mit einer komplizierten Krankheitskombination, lehrt einem die Erfahrung eine andere Perspektive auf die Dinge zu haben. Teilweise bin ich tatsächlich dankbar, jedoch nicht für die mangelhafte Absicherung, die immer wieder unpassenden Raster oder die Überschreitung von Kompetenzgrenzen.
Ich träume von einem Deutschland, das seinem sozialen Anspruch gerecht wird, in dem man nicht so leicht durch Raster fällt und in dem man nicht wohlhabend sein muss, um eine angemessene gesundheitliche Versorgung zu erhalten. Weniger Kämpfe und mehr Verständnis, Individualität und Sichtbarkeit für alle betroffenen Menschen, egal ob mit Seltener Erkrankung oder anderen Behördenproblemen – das ist mein Wunsch. Wir sollten alle die Möglichkeit haben, ein Leben mit möglichst viel Autonomie, Freiheit und Lebensqualität zu führen.
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